BIKE HUNTING





Im Internet kursieren Snuff-Videos, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen: Ein mysteriöser Hunter treibt auf beliebten Bike-Strecken sein Unwesen und lehrt ahnungslose Motorradfahrer das Fürchten. Hat er ein Opfer auserkoren, beginnt eine gnadenlose Hetzjagd und damit ein Kampf auf Leben und Tod.
Als der junge Motorradpolizist Marko Gehmaier auf eines der fatalen Crash Videos stößt, beginnt er zu ermitteln. Ohne Anhaltspunkt, wann und wo das nächste Todes-Duell stattfinden wird, versucht er den brutalen Bike Hunter zu stoppen.



Prolog

Murau: Tödlicher Motorradunfall auf der Turrach

Gestern kam es auf der Turrach zu einem folgenschweren Motorradunfall. Ein 26-jähriger Motorradfahrer aus Graz prallte auf der Abfahrt von der Turrach aus noch ungeklärter Ursache gegen die linke Leitschiene einer Rechtskurve und stürzte mehrere Meter tief in das Bachbett. Ein nachfolgender Autofahrer fand das schwer beschädigte Motorrad und entdeckte den verunglückten Fahrer. Der herbeigerufene Notarzt konnte nur mehr den Tod des Unfallopfers feststellen.

Er las die kurze Nachricht im Regionalteil der Onlineausgabe seiner Zeitung. Seine Mundwinkel kräuselten sich zu einem spöttischen Grinsen, bevor er den Computer auf Standby stellte.

 

1.

 

Am Tag davor

 

Johann, den seine Freunde Jonny riefen, freute sich auf seine Biketour. Endlich passte die Wettervorschau und er hatte auch noch kurzfristig zwei Tage frei bekommen, um ein langes Wochenende zu haben. Er wollte es wieder mal so richtig krachen lassen und sein Streetfightermotorbike an die Grenzen bringen. Er war in dieser Saison schon einige Touren gefahren und fühlte sich prächtig, sodass er dachte, gut eingefahren zu sein. Jetzt war es endlich soweit.

Aus Graz raus, in den Ortsdurchfahrten und auf den Durchzugstraßen ließ er Vorsicht walten. Er wusste, dass da gerne die Bullen mit den Radargeräten lauerten. Aber oben in den Bergen, wo jetzt – wie er hoffte – wenig los war, wollte er mal wieder so richtig aufdrehen. Mit seinen Kumpels war er auch schon ein paar Mal am Hungaroring gewesen, um sich auf der Rundstrecke auszutoben. Aber das war einfach etwas anderes. Mit den anderen im Kreis zu fahren, der tadellose Asphalt, der Kies in den Sturzräumen jeder Kurve. Das alles war lustig, aber keine echte Herausforderung. Es nervte ihn auch, dass Peppo und Max aus seiner Motorradclique ständig eine Spur schneller waren als er, weil sie immer die stärkeren Bikes hatten. Fahrtechnisch bin ich mindestens genauso gut, dachte er. Ich bremse später, komme in den Kurven viel tiefer runter und meine Linie ist besser. Außerdem kannte er seine Kumpels und deren Grenzen gut und deshalb bezeichnete er sie auch gerne als ´Coffee-Racer´: Typen, die ein paar schnelle Runden drehen und dann im Café oder Gastgarten lange drüber quatschen, wie toll sie sind. Genau das war ihr Ding.

Jonny liebte die Reaktion des Bikes, wenn er aus der Kurve heraus am Gasgriff drehte, das Motorrad sich jähzornig aus der Schräglage aufrichtete und die Beschleunigung auf den Steigungen ihm fast das Gefühl des Fliegens gab. Geil, einfach geil, dachte er. Während er in das Tal, welches auf die Passstraße führte, einbog, spürte er, wie die Erregung in ihm aufstieg und die Vorfreude das Adrenalin pushte. Bald kam er zur ersten Kehre. Der Asphalt war trocken. Ein schneller Blick zum Kurvenausgang und bergauf zeigte, dass die Straße frei war. Er bremste kaum merkbar ab, die linke Hand zog die Kupplung, während sein Fuß automatisch den niedrigeren Gang reindrückte. Er legte sich in die Kurve. Sein Blick zog einen Viertelmeter rechts vom Mittelstreifen eine unsichtbare Linie. Er hängte sich tief ins Bike. Er spürte seinen linken Knieschleifer den Asphalt küssen. Er wusste, wie tief er unten war. Die Linie ging in eine Gerade über. Automatisch riss seine rechte Hand am Gasgriff. Der Motor heulte auf. Das Bike kam aus der Schräglage hoch, der Vorderreifen schien fast abzuheben, während das Hinterrad tief einsank. Fast ein Wheelie, dachte er. Jonny drückte seinen Oberkörper auf den Tank. Unbewusst riss er die Kupplung, zeitgleich hakte sein Fuß den höheren Gang rein. Schon schoss er auf die nächste Kehre zu. Nach rechts bergauf. Ein kurzer Blick. Keine Sicht nach oben über den Abhang. Egal. Bremsen, runterschalten. Das Bike auf die Sperrlinie gedrückt spürte er den Schleifer auf seinem rechten Knie. Der Sound des Auspuffs hallte von der Felswand wieder.

Er hatte bereits einige Pässe überwunden, als er auf dem Parkplatz eines Landgasthofes ein paar Bikes am Seitenständer lehnen sah. Aggressives Rot und Giftgrün waren die dominanten Farben. Die breiten Hinterreifen verwiesen auf die sportlichen Biker. Die Uhr in seinem Cockpit stand auf Mittag und er wollte mal sehen, welche Jungs das waren. Er schaltete zurück, ließ den Motor noch einmal aufheulen und die Maschine auf dem Parkplatz ausrollen. Er drückte den Seitenständer runter und stellte sein Bike neben den anderen auf. Im Gastgarten hatten natürlich einige aufgeblickt, als sie den hochgezüchteten Motor hörten. Doch jetzt ignorierten sie den Biker, der im Gehen den Helm abgenommen hatte und die an den Knöcheln verstärkten Lederhandschuhe in den Helm steckte.

»Hallo«, sagte Jonny und fragte, ob er sich in die Runde setzten dürfe.

Bald war man im Gespräch über die Bikes, die Motoren, deren Tunings und die Reifenhaftung bei unterschiedlichen Bedingungen. Nebenbei wurden Spaghetti verzehrt und Radler getrunken. Als sich die Fünfergruppe aufmachte, blieb Jonny demonstrativ gelassen sitzen, obwohl es ihn auch schon wieder juckte. Aber er wollte ohnehin in die Richtung, aus der die anderen gekommen waren. Bald nahm er seinen Ritt wieder auf.

Am späteren Nachmittag war Jonny so richtig warm gefahren. Einen Pass war er wegen der tollen Spitzkehren und der langen Geraden rauf und gleich wieder runter gefahren, um die Strecke nochmals zu genießen. Die paar Autos wurden wie im Flug überholt. Auf den einen oder anderen Motorradfahrer war er aufgelaufen, hatte kurz beobachtet, ob diese beschleunigten oder hatte sie einfach überholt. Die gemächlichen Tourenfahrer wichen ohnehin aus, wenn sie Jonny hinter sich wahrnahmen und ließen ihn ziehen. Ihm bereitete es wenig Vergnügen, so kampflos zu überholen. Selbst wenn er mit heulendem Motor und einer Spitzenbeschleunigung an ihnen vorbei zog, hielt sich der Spaß in Grenzen. Bei den Bikern, die merkbar Gas gaben, wenn sie das Licht seiner Maschine im Rückspiegel wahrnahmen, war das anders. Hier gab es das eine oder andere kurze Match auf den Geraden oder um die Ideallinie vor der Haarnadelkurve, das Jonny in der Regel für sich entschied.

Nach einem Tankstopp und einem späten Cappuccino rollte er auf die Landstraße, als er einen Biker im Rückspiegel sah. Die schwarze Silhouette umrahmte den aggressiv bläulichen Scheinwerfer, der Helm und das Visier erschienen ebenfalls dunkel. Der Schwarze näherte sich, fuhr knapp auf Jonnys Bike auf. Jonny drückte den niederen Gang rein und schnalzte die Kupplung. Das Bike schoss voran. Er schaltete gleich wieder hoch und schielte kurz in den Rückspiegel. Die schwarze Gestalt klebte ihm förmlich auf der Nummerntafel. Na gut, dachte Jonny, mal sehen was du drauf hast, drehte am Gasgriff und schoss auf die erste Haarnadelkurve zu. Das bevorstehende Match mit dem Schwarzen ließ ihm den Puls in den Schläfen gegen den Helm pochen.

Ein diabolisches Grinsen huschte über das Gesicht des Verfolgers. Der Vordere hatte die Herausforderung angenommen. Er drehte am Gasgriff und erhöhte den Druck, indem er ein Überholmanöver andeutete. Das Licht seines eigenen Scheinwerfers blitzte im linken Spiegel des Gejagten auf. Er musste ihn bemerkt haben. Er sah, wie das Bike vor ihm zur Fahrbahnmitte wich, um ihm den Weg zu versperren. Das Duell hatte begonnen.

 

2.

 

Als Marko Gehmaier kurz vor sieben Uhr früh seine Polizeidienststelle in Klagenfurt betrat, war die Dienstablöse voll im Gang. Die müde aussehenden Kollegen vom Nachtdienst räumten ihre Arbeitsplätze. Der Frühdienst scharrte sich um die Kaffeemaschine. »Sagt, haben wir Fotos von der Unfallstelle des Motorradunfalls von der Turracher Höhe im System?«, fragte Marko in die Runde in der Kaffeeecke. »Ich habe da nämlich auf Youtube ein Video von einem wilden Ausritt gesehen. Die Unglücksstelle scheint auf der Turrach zu sein.«

Marko war sich da ziemlich sicher, denn diese Gegend kannte er wie seine Westentasche, hatte er doch fast seine halbe Kindheit dort oben verbracht.

Ein Kollege, der gerade zur Tür hinaus wollte, blieb stehen und sagte: »Ich glaub, ich hab das auch gesehen. Hab aber nicht an die Turrach gedacht. Der Klipp hat irre viele Klicks. Eigentlich sollte so etwas nicht online gestellt werden. Versuch es mal bei den steirischen Kollegen. Ich glaub, die haben den Unfall aufgenommen. Bis morgen dann.«

Marko kam erst am Nachmittag dazu, einen befreundeten Kollegen vom steirischen Polizeiposten anzurufen, der ihm die Aktenzahl für die elektronischen Unterlagen nannte.

»Fotos sind auch dabei«, meinte dieser noch. »Informier mich, wenn du was Interessantes findest. Dass der Typ zu schnell war, ist ja offensichtlich, aber irgendwie ist es trotzdem komisch. Also bis dann.« Marko legte der Hörer auf den Apparat.

Marko Gehmaier war seit mehr als acht Jahren bei der Polizei. Gleich nach der Polizeischule war er dreieinhalb Jahre dem Polizeikommando einer Bezirkshauptstadt zugeteilt gewesen, bevor er sich zur Motorradgruppe im Landespolizeikommando gemeldet hatte. Als begeisterter Biker war er selbst gerne mit dem Motorrad unterwegs. Privat fuhr Marko, der eigentlich Markus hieß, gerne mal eine schnelle Runde auf der Rennstrecke. Dafür hatte er ein japanisches Racebike. Für die längeren Touren, die ihn schon über viele Alpenpässe nach Frankreich und in die Pyrenäen geführt hatten, nahm er jedoch lieber die bequemere Reiseenduro mit den komfortablen Seitenkoffern.

Im Dienst hatte er schon einiges erlebt. Einsätze zur Verkehrsüberwachung oder Konvois waren ja eher langweilig, bei schlechtem Wetter kam da noch weniger Begeisterung auf. Mit Schaudern erinnerte er sich an eine Dienstfahrt, bei der er an einer roten Ampel stand, als es plötzlich wie aus Eimern zu schütten begann. Das Wasser war ihm innerhalb von Sekunden beim Hals hinein und bei den Stiefeln heraus gelaufen.

Dagegen waren Schönwettereinsätze auf den beliebten Bikerrouten schon fast wie eine private Sonntagstour. Sozusagen als Biker unter Bikern, wenn auch mit dem nicht gerade sportlichen Dienstmotorrad. Von Einsätzen bei Verkehrsunfällen mit Motorrädern hatte Marko dagegen viele schreckliche Bilder im Kopf. Bilder von Verletzten am Straßenrand, herumliegenden Fahrzeugteilen, Motorrädern in Öllachen. Besonders grässlich waren Unfälle mit Schwerverletzten, abgetrennten Gliedmaßen. Und immer das nervige Geheule der Sirenen und das zuckende Blaulichtgewitter.